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…Vidor Nagy liefert eine technisch weitestgehend makellose Darstellung eines kompositorisch interessanten Repertoires, stimmig natürlich besonders durch die gemeinsame Herkunft der Komponisten aus dem gleichen Kulturkreis. Nicht nur sind die Stücke an sich hörenswert, sie können auch allgemein neugierig auf diese musikalische Region machen. Dazu tragen neben den bekannten Komponisten Béla Bartók und Zoltán Kodály natürlich besonders die Werke von György Ligeti und György Kurtág bei; letzterer ist als quasi musikalischer „Spätentwickler“ erst als ausgereifter Komponist international bekannt geworden…

Dr. Hartmut Lück [29.11.2018]

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Stuttgarter Zeitung – 18.12.2018
Aus Ungarn – Spaß am Sperrigen

Drei Jahrzehnte lang war der Ungar Vidor Nagy, Jahrgang 1942, Solobratscher im Stuttgarter Staatsorchester. Mit Béla Bartóks später Sonate für Violine solo hat er sich schon als Bearbeiter wie als Interpret befasst; jetzt stellt er das Stück in seiner Bratschenfassung an den Anfang einer CD mit (hochvirtuosen!) ungarischen Solowerken des 20. Jahrhunderts, die er “Mikrokosmos” genannt hat. Das spielt auf Bartóks gleichnamiges Klavierwerk an, beschreibt aber auch treffend die hermetische Anmutung der Aufnahme. Allerdings versieht Nagy Bartóks Sonate sowie György Ligetis Violasonate (von 1991/94) und György Kurtágs “Jelek” (von 1961) mit einem Reichtum an Klangfarben und gestalterischen Nuancen, dass sich der Mikrokosmos flugs zum Makrokosmos weitet. Bei Ligeti vermischen sich Rückbezüge zur Barockmusik mit Anleihen bei Volksmusik und Jazz. In “Jelek” pflegt Kurtág die für ihn typische konzentrierte, kurze Form. Wer sich einlässt auf das zunächst Sperrige dieser CD, entdeckt eine faszinierende Welt – und einen faszinierenden Künstler. – ben

Mikrokosmos – Werke für Bratsche solo. Vidor Nagy. Edition Hera / Klassik Center (CD und DVD)

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Das Orchester 03/2019

Mikrokosmos – Seelenverwandtschaften
Werke von Bartók, Ligeti, Kurtág und Kodály
Vidor Nagy (Viola)

Ein exzellenter Auftritt. Ein außergewöhnliches Programm. Ein faszinierendes Ambiente. Und das alles doppelt – als solle sich beim einstündigen Vortrag dieser 17 Stücke für Solo-Bratsche nicht der geringste Anschein von Einförmigkeit einstellen: zwei inhaltliche Leit-Motive; zwei verschiedene Medien-Formate als Audio-CD und Video-DVD; zwei aufschlussreiche Auftrittsorte, die schlichte Reformierte Kirche in Alsöörs (Ungarn) und die festlich geschmückte Evangelisch-Lutherische Kirche in Cluj-Napoca (Rumänien).

Beziehungsvoll gerahmt wird Nagys Auftritt von den beiden Klassikern der ungarischen Moderne Béla Bartók und Zoltán Kodály; sie gaben die Musiksprache und die Traditionen vor, die György Ligeti und György Kurtág als renommierteste Vertreter der nachfolgenden Generation aufgegriffen haben. Und die Binnenform der Werke liefert auch die Vorlage für das Gesamtprogramm – es erscheint als großer Bogen, als Brückenschlag, der Charaktere und Kulturen verbindet.

Vidor Nagy ist der Akteur in diesem vielversprechenden Umfeld und ein idealer Interpret der Seelenverwandtschaften. In Budapest geboren, an der dortigen Musikakademie und in Detmold ausgebildet, dreißig Jahre als 1. Solo-Bratscher beim Staatsorchester Stuttgart wirkend und zudem mit vielen Internationalen Auftritten, Uraufführungen und CD-Einspielungen hervorgetreten, verfügt er über das nötige Gespür und Geschick, um die Charaktere und Intentionen seiner Landsleute meisterhaft zur Geltung zu bringen. Seelenverwandt sind sie in ihrer Herkunft aus der ungarisch-siebenbürgischen Region, im Widerstand gegen politische Systeme und die ideologische Vereinnahmung der Folklore und in ihrer Verwurzelung in authentischer Volksmusik. So sind denn auch individuelle Freiräume und eine extreme musikalische Feinarbeit ihr Mikrokosmos.

Bartóks Sonate für Violine solo, die in hier einer Bearbeitung für Viola erklingt, entstand 1943/44 im New Yorker Exil für Yehudi Menuhin, dessen Bach-Spiel zur Inspirationsquelle für den Komponisten wurde. Strenge, spröde Klanglichkeit, kunstvoll stilisierte alte Tänze und polyfone Formen stehen im wirkungsvollen Kontrast zu schönem Volksliedmelos und emotionaler Wärme. Das Wechselspiel zwischen Virtuosität und Kontrapunktik führt auch Ligetis Sonate für Viola solo (1991/94) vor. Dessen ständiges Suchen und Finden, das Ringen mit dem und um das Material zeigt sich in barocken Reminiszenzen und osteuropäischen Folklore-Intonationen ebenso wie in Latino-Harmonien und Jazz-Anleihen. Kurtágs sechs Miniaturen Jelek („Zeichen“) für Viola solo von 1961 sind hingegen gänzlich durch die kristallinen Strukturen Anton Weberns beeinflusst; sie treten als Mikro-Strukturen und Mikro-Formen auf, die keinesfalls sprachlos bleiben mit ihren Tempo-Vorgaben, die auch Ausdrucks-Chiffren sind. Den wohligen Schlusspunkt in diesem fulminanten Programm und Konzert setzt Kodálys Adagio aus dem Jahr 1905 – ein Jugendwerk voller romantischer und impressionistischer Züge, komponiert an der Schwelle zu den folgenden Folklore-Studien. Auch das ein Zeichen von kultureller Vielfalt und schöpferischem Neubeginn – wie alle diese Kompositionen…

Eberhard Kneipel

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FONO FORUM / APRIL 2019

Mikrokosmos – Seelenverwandtschaften.
Bartók: Sonate für Violine solo; Ligeti: Sonate für Viola solo;
Kurtag: Jelek op. 5; Kodaly: Adagio;
Vidor Nagy (2017); Edition Hera (CD & DVD)

 Die im Titel der CD angesprochenen Seelenverwandtschaften beziehen sich sowohl auf die vier darin vertretenen, zum Teil miteinander bekannten bzw. befreundeten Komponisten als auch auf deren Interpreten, den in Stuttgart an­sässigen ungarischen Bratschisten Vidor Nagy. Obwohl er sich – nach 30 Jahren als Erster Solo-Bratscher des Staatsorchesters Stuttgart – theoretisch im wohlverdienten Ruhestand befindet, ist Nagys solistische Karriere in den letzten Jahren richtig aufgeblüht, wie einige beim Label Hera bereits erschienene DVDs auf eindrucksvollste Weise bezeugen. Dazu gesellt sich nun die vorliegende Aufnahme, die anhand von vier Werken für Solobratsche einen Querschnitt durch die ungarische Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts zeigt.

Zwar wurde Bartóks Solosonate ur­sprünglich für Violine geschrieben – sie entstand 1944 im Auftrag von Yehudi Menuhin und wurde das letzte vollendete Werk des schon todkranken Komponisten. Nagy spielt sie aber auf der Bratsche ohne jede Änderung, wobei selbst die vertrack­testen Akkorde und Doppelgriffe einwand­frei gelingen. Bartóks Bach-Hommage (der erste Satz ist eine Chaconne, der zweite eine Fuge) kommt dank der tieferen Lage und unterstützt durch die warme Akus­tik einer kleinen ungarischen Dorfkirche eindrucksvoll zur Geltung. Die „Hora lungă” aus der Sonate von Ligeti führt den sonoren Klang der Bratschen-C-Saite verführerisch vor. Nagys musikantisches Spiel entspricht genau der scheinbar im­provisatorischen (und doch genauestens ausgeschriebenen) Musik Ligetis. Kurtags „Jelek” (Zeichen) ist ein frühes Werk des bedeutendsten heute noch lebenden unga­rischen Komponisten; Nagy setzt dessen aphoristische Sätze mit spontan wirkender Detailverliebtheit um. Als Zugabe folgt Kodálys Adagio, dessen einfache Melodie Nagy mit solcher Innigkeit fließen lässt, dass man den Atem anhalten möchte. 

Carlos Maria Solare