Gedanken zur DVD “Vidor Nagy in concert”
Am Anfang war das Publikum, und es war immer grenzenlos neugierig. Die Musen sahen, dass das gut war und dass die Künste nur so gedeihen konnten. Es reichte nämlich nicht, dass Hamlet das “Sein oder nicht sein” beschwor, die Leute wollten schon immer auch wissen, was Hamlets letzte Lektüre gewesen war, weil sie ihm nicht zutrauten, dass er seinen berühmten Spruch selbst erfunden hatte. Ein Bratschenspieler vermag nicht, sein Gehäuse mit einem solchen Geniestreich in die Welt zu setzen dazu ist das Material, das ihm zur Verfügung steht, nicht vielfältig genug. Die Wände seines Gebäudes: Bach, Mozart, Beethoven, Brahms, Hindemith, Bartók bestehen zwar aus edlen Hölzern, aber genau besehen, sind es nur einzelne Luxus-Latten, zwischen denen der Wind des Mangels hindurch pfeift. Deshalb muss der Bratschist seine Hütte ständig renovieren und viel Fantasie mit praktischen Einfällen kombinieren, um die Lücken seines Repertoire-Häuschens auszufüllen. Das kostet viel Kraft und Energie, und der Bratschist, der das Abendrot seiner Musikerlaufbahn aufleuchten sieht, freut sich des Tagesglückes, das ihm erlaubte, anhand des vorgefundenen und mühsam erweiterten Materials so lange Kopf und Gefühle in einer Synthese zu vereinen: In der Musik, die man spielt, muss man sich heimisch fühlen.
Doch ein Musikstück ist nie fertig. Es erfindet sich stets neu, wobei der Wandel der Zeit, des Geschmacks und des Stils an der kreativen Arbeit stets Teil hat. Deshalb ist der Versuch, Kunst hervorzubringen, eine fast selbstmörderische Aufgabe, bei der man sich vollständig entäußert und nur hoffen kann, dass das Ganze zu einem guten Ende kommt. Doch die Auseinandersetzung mit den “Säulen” des Repertoires – das sind die Stücke, denen man eine “ewige Gültigkeit” nachsagt – endet nie. Das ähnelt der Geschichte vom Zen-Meister, der seinen Schüler sieben Jahre lang quält, bis dieser es nicht mehr aushält und seinen Lehrer hinterrücks zu erschlagen sucht. Doch der Meister dreht sich blitzschnell weg, fängt den Schlag ab und sagt: Jetzt können wir mit dem Unterricht anfangen! Ähnlich vergeht das Leben des Musikers mit dramatischem Stolpern durch die Klangfelder seines störrischen und doch so geliebten Instruments. Indes steigert sich die Qualität der Zwiesprache, wenn der Musiker Reife erlangt und die Tücken seines Instruments zu zähmen erlernt.
Wenn man schon an “zeitlose” Kompositionen denkt, fragt man sich auch, ob es eine dem entsprechende Interpretation zu geben vermag. Wir sagten schon, was dem entgegensteht, und doch muss man wie Sisyphus gerade darum kämpfen, auch wenn am Ende nur die Freude am Kampf bleibt. Auch hier zwingt sich ein Vergleich auf: Der des Korbflechtens in der Irrenanstalt. Auch in der Musik ist die Arbeit Ziel und Therapie zugleich. So können schließlich die Konzerte und die daraus resultierenden Tondokumente wahrer als das Leben selbst werden.
Indem ich nun ein Musik-Video vorlege, suche ich den Weg in eine neue Welt, in der das einmal Erlebte mit farbigen, kaleidoskopischen Zügen wieder erweckt werden soll. Dazu wird die historische Reihenfolge der Werke außer Kraft gesetzt zugunsten einer etwas größeren dramaturgischen Konstruktion, die dank der anwesenden Zuhörer tragfähig wird, ohne dass Babels Turm in sich zusammen fällt. Publikum inspiriert und reinigt die Kehle, stärkt den Atem und erneuert die Lunge: Publikum ist der edelste Resonanzkörper, in den der Instrumentalist aufgenommen zu werden vermag! Manchen Künstlern, beispielsweise der Callas, gelingt es, die Zuhörer auf einen anderen Planeten zu entführen, auf dem Sinnlichkeit und Träume als Wirklichkeiten erscheinen, in denen tiefste Trauer und grenzenlose Lebensbejahung sich berühren. Rilke sagte, die Musik erhebe ihn, lasse ihn dann aber tiefer fallen als zuvor. Und doch wirken bekanntlich schöne Reize stets positiv, egal ob sie einem in der Wirklichkeit oder in der Kunst entgegentreten. Schönheit kann eine Droge sein. Eine wundervoll ausgesungene Melodie kann wie ein Mysterium wirken, und das Maß eines Künstlers erspürt man auch daran, wie viel Geheimnis er in sich trägt. Das ist die Katharsis, die Erneuerung, die Erleuchtung.
Dino De Laurentiis meint, es komme zunächst auf die drei “C” an: Cuore, cervello, coglioni. Das ist “nur” die Sprache eines Filmproduzenten, doch einige Musiker denken ebenso. Die größten unter ihnen vermeiden zwar solche Worte, doch meinte Pablo Casals letztlich das Gleiche, wenn er Musikalisches mit dem Element des Wassers in Verbindung bringt: “Der Rhythmus ist wie die Welle im Fluss.”
Vidor Nagy 2008
The Fata Morgana of the Flaming Viola
In the Beginning was the audience arid it was infinitely curious. The muses saw that it was good, and that only in this manner could the arts flourish. They weren’t satisfied by Hamlet’s “To be or not to be” declamation. The people wanted to know what the last article was which Hamlet had read; they didn’t believe that he was the creator of his own famous words. For the violist it’s not a given that his construct can be delivered in such a stroke of genius; the materials at his disposal are not sufficiently varied. While the walls of his building: Bach, Mozart, Beethoven, Brahms, Hindemith, Bartók – are, indeed, made of precious timbers, they are in reality single luxury planks through which the winds of lack whistle. Consequently, combining a good dose of fantasy with practical ideas, the violist is involved in a constant renewal process, filling in the gaps of his little repertoire abode. Though this process demands of him both strength and energy, seeing his musical path illuminated in the evening glow, he is grateful for the daylight which, on the basis of existing and laboriously expanded materials, has enabled him to produce a synthesis of head and heart for such a long period of time. It is in the music he plays that the musician finds his sense of home.
Yet a piece of music is never finished; it’s in a constant state of renewal, reflecting the changing times, tastes and styles which remain facets of the creative process, That fact explains why the attempt to present such a work of art can almost be suicidal: all is revealed and one can only hope that the entire endeavor ends well. The analytical dialogue with mainstay repertoire – those pieces which enjoy the label “immortal” – is never ending, as is the work on the performance of them. It is similar to the story of the Zen master who tormented his Student for seven years until, no longer able to endure it, behind his back he attempts to slay the Master. However, quick as lightning the Master turns around, interrupts the attempt and scolds: “Now the lessons can begin.”
It is similar to the life of a musician dramatically trudging through the tonal fields of his stubborn, yet so beloved, instrument. It is when the musician matures and has learned in considering “timeless” compositions, one naturally questions his own ability to do justice to that work. We’ve already mentioned what the musician is faced with, yet he still has to fight like Sisyphus, even if – ultimately – it is only the joy of that fight which remains. Here, too, a parallel comes to mind: basket-weaving in an insane asylum. Also in music, goal and therapy are united in the striving itself. Along these lines, concerts and resulting tonal documentaries can be truer to life than life itself.
In now presenting a music video, l seek a path in a new world where that which has already been experienced might be re-awakened by colorful, kaleidoscopic traits. The normal chronological program order is being abandoned in favor of a larger dramaturgic construction with its own inner logic becoming apparent to the listeners, without threatening the Tower of Babel. The presence of an audience inspires, clears the throat, strengthens the breath and renews the lung. An audience is the most valuable resonating body into which an instrumentalist can be incorporated! Some artists, such as did the famous Maria Callas, even succeed in abducting their listeners to other planets, where the deepest melancholy, sensuality and dream appear to be the unlimited, life-affirming realities. Rilke maintained that music elevated him, only to let him descend even deeper in the aftermath. Nonetheless, it is known that whether in reality or in the world of the arts, provocation in the guise of beauty can ultimately have a positive effect. Beauty can be a drug. A wonderfully sung melody can work like a mystery; the measure of the artist is in the degree to which he harbors this secret within himself. The catharsis, the renewal and the illumination is then his.
Dino De Laurentiis was of the opinion, it all depends on the three C’s cuore – cervello – coglioni. That’s “just” the language of a film producer, but certain musicians think likewise. The greatest of them would avoid that specific choice of words, but Pablo Casals meant the same in melding the musical idea with the element, water: “Rhythm is like waves in the river.”
Vidor Nagy 2008